Wunderkräfte des Gemütes.
Das Geheimnis der goldenen Blüte.
Der Wert der hermetischen Schulung.
Peryt Shou aus dem Buch „Lautmagische Aufsätze“
Der nahende Sommer biete dem hermetisch eingestellten Menschen genug
Gelegenheit, Kräfte an Leib und Seele zu sammeln. Aber nicht bloß, dass
der Leib sein Recht bekommt und ebenso die Seele, sondern dass beide
eins werden, dass wieder ein ganzer Mensch wird, ist der eigentliche Sinn
der Erholung. Leib und Seele bilden ein Ganzes, eine Leib-Seele-Einheit,
deren wir uns gerade in dieser Zeit immer mehr bewusst werden sollten.
Aus dieser Einheit muss der neue Mensch geboren werden, in welchem ein
neuer Geist die verbindende Brücke bildet und die Materie, den Widerpart
des Geistes, immer mehr verwandelt hinauf zu dem Bilde, das Christus für
uns, nicht nur religiös, sondern auch lebensgesetzlich (biologisch) gesehen,
darstellt.
Die ältere deutsche Sprache hatte das wundervolle Wort Gemüt für den
einheitlichen Wesensgrund des Menschen. So bedeutet muot, von dem dies
Wort sich ableitet, im Althochdeutschen soviel wie Geist, Gemüt,
Beseeltheit. Im Gemüt wird nicht nur der Geist, sondern auch die Seele
geboren, die den Leib regiert. In ihm wurzelt der ganze Mensch. Kultur des
Gemütes ist darum mehr als das so modern gewordene Jonglieren mit dem
Unterbewusstsein, seinen Verbrennungen, Minderwertigkeits-Komplexen
usw. Dies Unterbewusstsein ist eben im wahrsten Sinne das Gemüt selbst,
in welchem der ganze Mensch zusammenfließt und aus dem heraus der
ganze Mensch geheilt werden kann. Hermetik ist die Lehre vom
schöpferischen Gemüt. Die Praxis dieses Weges ist uralt. Ein Teil davon
wurzelt im Vedanta, dem arischen Geistesgut der Inder. „Der Leib
untersteht der Seele, die Seele aber untersteht Dir, o Gott“, sagt Augustinus
im Sinne dieser uralten Heilslehre der Menschheit. Ein dreifaches Gefälle
aus dem ewigen ist der Mensch:
1. der überstoffliche Gott (Mental);
2. die feinstoffliche Seele
3. der grobstofflich Leib.
Aber alle drei bilden eine Schwingungs-Einheit und sind verbunden durch
das im Gemüt wurzelnde Wesen und die Kraft des Göttlichen, durch das
durch sich selbst Seiende (Matrizen). Auch der Mensch ist durch sich selbst
seiend im innersten Wesensabbild und in Wesensverbundenheit mit Gott.
Hierin ruht seine Heilkraft. Nicht einer äußeren Kausalität, dem Satz von
Ursache und Wirkung, die das materialistische Zeitalter verkündet, ist der
Mensch unterworfen, sondern jener inneren Kausalität, der Selbst-
Bedingtheit, dem durch sich selbst Seienden. Hierin liegt seine innere
Freiheit, hierin zugleich seine Gott-Verbundenheit. Der Mensch ist nicht
nach außen gestellt durch die natürliche Ordnung einer äußeren Kausalität,
sondern er ist Kind Gottes, ist in Gott wurzelnd, in jener Selbst-
Bedingtheit, in dem durch sich selbst Seienden. An diese Selbst-
Bedingtheit, die unter den neuen Philosophen Max Scheler verkündet, will
die Hermetik uns heranführen, aus ihr heraus uns frei und all-gesund
machen. Diese Wandlung wurzelt aber nicht im üblichen Denken, sondern
im elementaren Gemüt, dem Resonanzboden dieser höheren, befreienden
und schöpferischen Kausalität im Menschen.
Dies Gemüt ist im Zeitmenschen immer noch vielfach zersetzt und darum
krank! Der Grund liegt zu allermeist darin, dass das Ich noch immer, wie
Jacob Böhme sagt, in seiner Trennung, Sonderung, seiner falsch
verstandenen Individualisierung verharrt. Es gibt eine echte Individualität,
das ist die, welche in Gott, dem großen Individuum, ihr Urbild hat und in
ihm schwingt, und es gibt eine eingebildete Individualität, welche sich
losgerissen hat und für sich etwas sein will, unbedingt für sich!
Aus dieser letzteren eingebildeten Individualität entspringt alles Leid in
seiner tiefsten und letzten Wurzel. Löst sich diese falsche weltliche
Individualität auf, so wird es licht in der Seele. Es ist, als würde durch ein
schweres Gewölk plötzlich wieder ein Stück blauer strahlender Himmel
sichtbar. Die Seele weiß, so lange sie unter der Schuld karmisch leidet,
nicht, welches die echte oder falsche Individualität ist. Sie kann sogar in ihr
einen außerordentlichen Schatz und Gottesfunken sehen und ist doch auf
den falschen Wege. Luzifer blendet sie mit dem schönen Zuruf: „Ihr werdet
selbst sein wie Gott“, den der Mensch aber erst richtig verstehen muss.
Heute vollzieht sich ein Erwachen zum Gottesfunken in der eigenen Brust,
und es ist wohl unvermeidlich, dass wir durch dies Erwachen hindurch
müssen, aber es ist noch kein Beweis, dass wir dadurch an sich besser sind.
Gott kann es uns auch senden, dass wir daran unseren Abstand von seiner
Lichtesfülle noch deutlicher sehen lernen und dadurch angespornt werden,
nun seelisch selbst intensiver an uns arbeiten. Auf dies letztere kommt es
wohl entscheidend an. Denn man hat es sich vielfach mit der christlichen
Religion sehr bequem gemacht. An sich, an den falschen sündigen Ich zu
arbeiten, war verboten (Synergismus!). Man wartete betend auf die
himmlische Gnade und überließ das unwürdige Ich immer mehr sich selbst.
Man betete und tat, was vorgeschrieben war, und die Menschen wurden
weder glücklicher noch besser.
Nun weckt Gott das Ich auf und sagt zu ihm: „Du bist ein göttlicher
Funke“. Jedenfalls ist das nach Eckhart ein Antrieb, dem Ich wieder
größere Aufmerksamkeit zu schenken. Aber von der eingebildeten und
falschen Individualität ist man damit nicht erfolgreich befreit. Es wird mit
diesem Aufgewecktwerden zugleich auch das Leid der Absonderung in der
Seele wieder lebendig, und da gilt es, was die volkstümliche Lehre der
Hermetik fordert, durch innere Sammlung und Stille die Einheit, den
Berührungspunkt göttlichen Lebens mit der Seele immer wieder wach zu
halten. So wächst schließlich wieder der ganze Mensch zusammen und
steht ein neuer in uns auf, der sich gezogen von Gott erlebt und so aus der
falschen und eingebildeten Individualität den Weg zur echten, in Gott
verwurzelten Selbstheit findet! So spricht in uns das gottverbundene Gemüt
wieder auf, und eben dies göttliche Gemüt gilt es in der rechten Weise zu
nähren.
Gehen wir auf seinen Namen nochmals kurz zurück, so finden wir die
Wurzel desselben muot im Althochdeutschen noch in einem anderen Wort
wieder, nämlich in muoter = Mutter. In der Tat ist hier eine Verwandtschaft.
Muot, Gemüt, ist der Quellgrund, das Gebärend-Mütterliche in uns, der
Geist dagegen der Vater. Wir neigen dazu, dies Väterlich-Männliche des
Geistes zu übersteigern, wir benötigen aber das Mütterliche, das
Aufnehmende, Empfangende und Befruchtende des Gemüts! Es ist das
Ewig-Weibliche, das uns hinanzieht, wie Goethe sagt. Wollen wir an den
Kern unseres Wesens und diesen stärken als die Quelle unseres Lebens, so
müssen wir auf diese Forderung unseres eigenen inneren Menschen mehr
eingehen und nicht an einer einseitigen Überfütterung des Geistes, des
Wissensgeistes, der so viele krank macht, Gefallen finden. Unbewusst
wollen wir oft durch Willen glänzen, aber besser ist oft schweigen und
fühlen.
Was für den Geist der aufnehmende Intellekt, das ist für das Gemüt das
Anschaun, das Lauschen, das Erfühlen. In ihm erleben wir die Seele des
Alls.
Das Gemüt spiegelt das Leben um uns in den Urgrund Gottes hinein, der in
der Seele in uns lebt. Die Seele ist aus Gott, aber lange durch den Geist
entwürdigt. Das Wissen belehrt uns eines anderen. Wie arm wurden wir
durch all dies glänzende Wissen (ohne Gefühl), wo es sich losriss vom
mütterlichen Urgrunde in uns, vom Gemüt. Denken wird oft nur
leidenschaftlich und macht dann krank wie jede andere Leidenschaft.
Was nun für den Geist das Denken, das ist für das Gemüt die
Einbildungskraft oder Imagination, die eine schöpferische, mütterlich
gebärende Bilde-Kraft in sich schließt. Wir formen die Eindrücke durch den
seelischen Urgrund in uns und machen sie dadurch erst zu dem, was sie für
uns werden. Ganz irrig war die Lehre der intellektuell-empirischen Epoche,
welche den Sinnen-Eindruck zu einem objektiv feststehenden macht. Was
ist ein Sonnen-Untergang rein sinnlich-objektiv, und was ist er für das
Gemüt? Beseelen in gleicher Weise kann das Gemüt alles, was auf uns
wirkt. Der bloße Sinnen-Eindruck aber entseelt es. So erschien vor einiger
Zeit ein beachtenswertes Buch von dem bekannten Psychologen C. G. Jung
in Zürich und dem vor wenigen Jahren verstorbenen China-Forscher
Richard Wilhelm mit dem Titel „Das Geheimnis der goldenen Blüte“! Auch
hier ist ausführlich vom Schöpferischen und Empfangenden im Seelenleben
des Menschen gesprochen und von der Notwendigkeit ihres inneren
Gleichgewichtes, wie es sich schon in der alten Volks-Religion des Ostens
spiegelt. Tao, der Weltsinn, bewegt sich zwischen dem Yin und Yang, dem
Schöpferisch-Männlichen und dem Empfangend-Weiblichen. Der Mensch
besitzt als den tiefsten Seelengrund den göttlichen Funken, von den
Eckehart schreibt, als spannende und lebengebende Polarität des Mann-
Weiblichen, des Zeugend-Gebärenden in sich selbst. Diese Polarität ist das
höhere Selbst, das Göttliche im Menschen, das wahre Ich-Bin, auf dessen
Entfaltung sich die Lehre der Hermetik aufbaut. C. G. Jung bringt sie in
seiner „Animus-Anima“, d. i. Geist-Seele-Lehre zugleich als praktischen
Weg seiner seelischen Heilweise. Der heutige Mensch kann sich nur gesund
halten, wenn er den Forderungen des inneren Gleichgewichtes zwischen
dem Schöpferischen und Empfangenden seiner höheren seelischen Natur-
Anlage gerecht wird. Wer einseitig geistig-schöpferisch oder einseitig
empfangend-gefühlsmäßig entartet, zerstört das innere Gleichgewicht und
leidet. Gleichgewicht ist Harmonie, ist Gesundheit. Die Waage der Welt ist
nach jenem alten chinesischen Weistum Yin und Yang. Sie kann von einer
Seite zur anderen pendeln, aber wenn ein Pol, eine Waagschale dauernd zu
tief hängt, wenn etwa der Wille alles beherrscht, leidet die Welt, denn das
Gefühl kommt zu kurz. Aber auf der anderen Seite: Wie viel ist in unserem
Christentum nicht einseitige Gefühls-Betonung, Gefühls-Erleben?
Das „Geheimnis der goldenen Blüte“ bezieht sich auf eine in unserem
Unbewussten schlummernde und zu unserer Ausheilung hervorbrechende
Fähigkeit des Gemüts. Schopenhauer lehrt, dass das Urdenken in Bildern
geschieht. Diese innere Bilderwelt wird durch das oberbewusste Denken
gleichsam vergewaltigt. Der schöpferische Innentrieb, der sich zwischen
Zeugen und Empfangen der Seele bewegt, verliert durch einseitige
Geistigkeit seine innere Freiheit. Er wird gelähmt, die Seele erkrankt.
Wessen Seele schöpferisch geworden und nur noch am Sinnenschein klebt,
wird unfrei, verliert ihre eigentliches Leben und verfällt der Abhängigkeit.
Wie viele erlahmen nicht und erkranken in dieser Weise? Nun gibt es ein
Heilmittel: Schließ deine innere Seele auf, wenn sie sich wie eine Blüte in
der Dunkelheit geschlossen hat. Öffne sie. Lass sie sich spielend auftun.
Die Seele ist selbst solche Blüte, die ihren Tau aus den Himmeln saugt.
Verwehre ihr diesen Tau nicht. Bringe sie nicht ganz in die Sklaverei deines
befangenen Willens und Wissenwollens. Alles Wissen ist nur Stückwerk.
Lass die liebende Seele in dir fliegen. Gib dich hin dem Großen Einen, der
dein Gemüt durchwogt. Löse den Krampf von deiner Seele, der Geist nur
als Bewusstsein, als Willen fasst – und das Wunder geschieht!
Es lebt in dir etwas auf, das frei und zwanglos unter dem Himmel atmet.
Gott hat die Seele in seinen Zwang gesetzt. Wenn dich das Selbstische nicht
mehr verkrampft, wenn du das große Eine in dir zum Leben erweckst, dann
beginnt in deinem eigenen Seelengrunde das Schöpferische sich spielend
frei zu entfalten. Es nimmt dich auf, es trägt dich! Die Heilmethode C. G.
Jungs besteht darin, die Imagination unter einer gewissen Kontrolle aus
sich heraus wieder den Anschluss an das große Eine finden zu lassen, den
schöpferischen Trieb, wo er eingeklemmt ist, frei zu machen zunächst
durch eine Art zwangloses Zeichnen oder Malen ohne bewusstes Motiv. Es
ist eine Durchgangsstation, in der das Ich seine Hemmungen bildhaftsymbolisch nach außen stellt und sich so derselben entledigt. Aus dem Unbewussten wächst dann ein höheres Bewusstes heraus, das auf dem
Wege der Anschauung, nicht des Denkens, gleichsam den Kristall-Himmel,
wie ihn Dante schaute, im Ich widerspiegelt erscheinen lässt. Die „goldene
Blüte“ wird zu einem kristallinischen Gebilde auf dem Grunde des Ichs, zur
Ur-Rune der alten Germanen, zum Hag-all, dem all-hegenden Seelen-
Kristall, den unsere Vorväter schauten als Seele der Welt.
Einen ähnlichen Weg aber können wir heute auch betreten, indem wir durch
Entspannungs-Übungen der Hermetik vorbereitet und ebenso durch ein
inneres In-Ruhe-Kommen (Stille-Übung) dem Gemüt zur schöpferischen
Selbstentfaltung wieder Gelegenheit geben. Meditation in Verbindung mit
plastischen Runen-Übungen kann da zu einem heilsamen Weg für viele
werden. Die Hermetik ist auch hier der Wegbereiter und Mittler, er wandelt
die Runen-Übungen, die immer mehr Interesse erwecken, zu denen einer
weltanschaulich festigenden und vertieften Schulung. Runen-Übungen, in
diesem Sinne hermetisch gefasst, erhöhen die Konzentration, leiten die
Kräfte seelischer Imagination in den Leib und beseelen ihn. So gelangen
wir zur göttlichen Totalität des Menschen zurück, zur Leib-Seele-(Geist)-
Einheit, die es ganz besonders in der Erholung zu wecken und zu nähren
gilt.